Herr Lebewik und die Endlichkeit

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Wir schreiben das Jahr 2084. Unser Patient, ein noch ungebeugter Herr so um die 100, sitzt in der Wartestation der Robomedikonkologie, einer neuartigen Ambulanz, deren Ärzte auf nanotechnologische Robotik bei der Krebsbekämpfung spezialisiert sind. Eine Weile muss er warten, dann schaut der Praxisrobo herein und bittet ihn lächelnd, aber bestimmt zum Termin in den Medical Treatment Room. Der Medikonke, ein ganz normal aussehender, etwas blässlicher Erdling im weißen Arztkittel, der allenfalls durch sein gewagtes Äskulapstab-Tattoo am Hals auffällt, wartet bereits auf ihn, um ihm die Befunde der letzten Untersuchung darzulegen.

„Tja, Herr Lebewik“, sagt er, „es sieht leider nicht so gut aus. Die Metastasen haben inzwischen überhandgenommen. Die bisherigen Anwendungen waren sichtlich zu schwach. Wir sollten deutlich nachbessern, denke ich. Um es Ihnen gleich direkt zu sagen: Wenn wir nichts unternehmen, müssen wir binnen 3 Monaten mit Ihrem Ableben rechnen. Das ist leider die traurige Wahrheit, denn Sie sind ja noch relativ jung. Und auch für alte Menschen wäre es gewiss keine gute Botschaft. Es gibt jedoch, wie Sie wissen, die Alternative einer intensiven Chemotherapie nach klassischer Manier. Wir geben Ihnen die Injektionen in Sequenzen über, sagen wir, zwei Jahre. Was dies mit Ihrem Körper macht, hatte ich Ihnen ja bereits mitgeteilt. Etwa wie Extrembergsteigen ist das, immer ein bisschen in der Nähe des Abgrunds. Heilung letztendlich nicht ausgeschlossen. Aber anstrengend, Herr Lebewik, sehr hart.  Es wird Ihr Leben ändern“ 

Herr Lebewik zögert und man sieht ihm seine schwitzende Nachdenklichkeit stark an. Der Medikonke spürt ein gewisses Mitleid und teilt ihm rasch mit, worauf er sowieso hinauswollte. „Es ist so, mein Herr: Sie befinden sich hier in der hochmodernen Robomedikonkologie und Sie haben ja den Weg zu uns nicht ohne Überlegung gefunden. Chemotherapie ist für alle Beteiligten ein hartes Brot. Natürlich vor allem für Sie als Patient. Ich glaube, es gibt da noch eine Lösung, die Ihnen unkomplizierter Heilung verspricht. Etwas teuer zwar, aber die Kassen haben das Verfahren nach dem Pilotversuch bereits akzeptiert. Wir können ja auf erste Erfolge verweisen. Um es kurz zu machen: Wir würden Positivnanorobotinen im Inneren Ihres Körpers beauftragen. Diese MiniagentInnen sind darauf spezialisiert, alle Metastasen konsequent abzuarbeiten und besorgen dank ihrer multiplen Fähigkeiten auch sonst ein krankheitsfreies Wohlbefinden Ihres Körpers, was sich natürlich auch mental und antiagingmäßig positiv auswirken wird. Das Schöne ist, das geht alles nahezu schmerzfrei und ohne Nebenwirkungen über die Bühne. Genauer gesagt: Durch Ihre Adern, Ihren Körper, Herr Lebewik. Es ist eine glänzende Errungenschaft der Protechnomedizin. Lediglich ein Problem gibt es dabei noch, das muss ich Ihnen doch auch sagen: Wenn die Nanos einmal in Ihrem Körper aktiviert sind, können wir sie nach einer Weile nicht mehr stoppen. Sie verselbständigen sich sozusagen mit der Zeit der Anwendung und werden in gewisser Weise immer unabhängiger, ja effektiver. Unsere moderne Medizin hat dieses Phänomen, das dem einer Sonde zu einem fernen Planeten ähnelt, die man irdischerseits nach einer Weile verloren geben muss, noch nicht im Griff. Wir arbeiten daran.“

„Was bedeutet das für mich“, Herr Doktor, fragt Herr Lebewik den Fachmann besorgt, wenngleich interessiert? „Nun… es ist so, mein Herr: Sie werden, hm, ja, sie werden… nicht sterben können. Wollen Sie?“

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