Weltrettung – Lamento mit Ausblick

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Mein verhaltener Appell zur Rettung der Welt, und ich meine hier den irdischen Globus, beginnt mit einer paradoxen Einlassung, die da lautet: Die Erde ist nicht mehr zu retten. Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Erst wenn wir uns dies unvoreingenommen und mit Mut zu Realismus klar machen, können wir Schadensbegrenzung betreiben. Ich möchte fünf Dinge hierzu anmerken und dann ein Fazit ziehen.

Ja, es stimmt, die Welt, das irdische Leben, ist frei nach Shakespeares Hamlet aus den Fugen. Es fehlen adäquate und verträgliche Dichtstoffe. Dies gilt – aus unterschiedlichen Gründen – zumindest für den Nahen Osten, den Maghreb, Teile des saharischen bzw. subsaharischen Afrika und Asiens sowie für fast ganz Zentralamerika. Generell gilt: Fragile Regionen, zerbrochene Staaten und Blutdiktaturen allenthalben und in wachsender Zahl. George Orwell konnte sich in „1984“ schon eine ganze Menge an Grauen für die damalige Zukunft seines Eurasiens vorstellen, aber lebte er noch, so wäre er gewiss überrascht angesichts der Intensität des organisierten Leids und Schreckens auf unserem Planeten. Es ist es wert, sich klarzumachen und darüber zu reflektieren, was Menschen anderen Menschen anzutun in der Lage sind und welche inneren und äußeren Beweggründe sie hierfür haben. Das große, historische Projekt der Aufklärung, vor achtzig Jahren durch den Nationalsozialismus schon einmal in Brand gesetzt, ist vorerst gescheitert. Möglicherweise nun definitiv! Der exzessiven, allgemeinen Globalisierung der letzten Jahrzehnte folgt in verstärktem Maße die kriegerische Globalisierung in zahlreichen kleinen und mittleren Brandherden, was sich allmählich zu einem breiten Flächenbrand verdichtet. Wir im neuen Krisenherd Europa sind auf jeden Fall dabei und auch Teil des Problems. Die Bedrohung hat jedoch große Teile unseres gesamten irdischen Lebensraums erfasst – von Alaska bis zur Antarktis. Und das wird ja nicht besser, wenn der US-Präsident Grönland kauft. Es zeichnet sich klar ab: Die Bedrohung wird massiv bleiben, sie wird sich noch verschärfen. Ich sage es noch einmal mit etwas anderen Worten: Das Kind der Freiheit, der Freizügigkeit, der Gewaltlosigkeit und des Friedens ist tief in den Brunnen gefallen. Rettungslos? Fragezeichen.

Es gehört zum beabsichtigten Realismus meines hier anfänglich angestimmten Klagelieds, zunächst einmal folgendes festzustellen: Auf kurze bis mittlere Sicht ist die Lage in den genannten Krisenregionen aussichtslos. Auch EU-Europa, das in Auflösungstendenzen umhertreibt, wird hineingezogen in Fragilität und Krise, weil es schon immer beteiligt war: Kolonialismus, Imperialismus, Militarismus, Kriege, rigide Durchsetzung von Wirtschafts-interessen. Die Globalisierung ging früh von Europa aus. Die Globalisierung der Krise wird ubiquitär, sie ist bald überall. Die Attacken der Gotteskrieger sind nur ein Symptom, wenn auch leider ein sehr auffälliges. Es wurden auch im Westen in den letzten Dekaden seit Nineeleven, dem sinnfälligsten Beginn des Niedergangs, allzu viele interessengeleitete Fehler gemacht, um es gemäßigt auszudrücken: Das Schüren von regionalen Kriegen. Die militärische Aufrüstung. Die Unterstützung „unserer Diktatoren“. Das Zulassen des Hungers und der Verelendung. Ja, sogar auch die Forcierung des Digitalen als Goldenes Lamm der Kommunikation und auf Teufel komm raus. Der Mangel an konstruktiver Tatkraft im Vergleich zum demonstrierten Geltungsdrang nach der Pariser Umwelt-Deklaration und auch schon lange vorher, spricht zusätzlich Bände und steht der Sprache und dem Elan einer sehr jungen Frau entgegen, die gerade ausgezogen ist, die Welt zu retten. 

Auf längere Sicht besteht Hoffnung, möchte man als notorischer Optimist feststellen. Oder, um es sinngemäß mit A. Gramsci zu sagen: Skeptizismus des Geistes, Optimismus der Tat! Hoffnung, konkret wirksame Utopie, besteht, simpel gesagt dann, wenn das Erforderliche getan und das Abwegige unterlassen wird. Wird der multilaterale, destruktive Wahn fortgesetzt, dann ist es kein übertriebenes Negativpathos zu sagen, dass die Welt, der Kosmos zwar nicht, aber die Erde versauern und veröden und von geiler Großgeschäftigkeit und Kriegstreiberei verplempert, ja zertreten wird. Es kommt dann dazu, dass DAS LEBEN auf diesem unserem Erdball allmählich einen lethargischen Tod sterben wird, bei dem irgendwelche Reste an Tatendrang nur noch vergeblich daherkommen werden – wie ein letztes dann wohl schon hilflos bis lächerlich wirkendes Aufbäumen. Siechtum, Agonie, Armageddon also, um es biblisch auszudrücken. Dies alles muss aber nicht zwangsläufig unser Schicksal sein, auch wenn der Atem der Geschichte gerade mal wieder besonders morbid, ja todeslüstern schnappt. Oder doch? Fragezeichen.

Sprechen wir hier im Westen jetzt mal von der Doppelmoral, nämlich der des Westens. Sie besteht darin, dass die sog. zivilisierten Staaten gesellschaftliche Moral und Menschenrechte weltweit anmahnen, sich in der Gestalt der USA und auch einiger europäischer Länder jedoch schon vor Jahren ebenfalls für klare Zivilisationsbrüche entschieden haben: Perfide Folterszenen von Guantanamo bis Abu Ghreib und Bagram, in den zur Verfügung gestellten CIA-Verließen Polens und Rumäniens, ja sogar in der Luft in den Geheimdienstfliegern. Höchst dubiose Staaten als unsere Verbündete, wie Saudi Arabien, Katar, Bahrain, wohin wir Waffen in großem Umfang liefern. „Unsere Diktaturen“ im Nahen Osten haben das Erscheinungsbild, das sich auch der IS mit seinem Kalifat gewünscht hätte: Rigorose Disziplin, exklusive Religiosität, Sklavenhaltung der Frauen, rigide Strafmechanismen, Macht, die auf Angst aufbaut, Zynismus, Sadismus, Peitsche und Blutrausch. Der nicht einmal halbwegs gesühnte, brutale Kashoggi-Mord in Istanbul steht symbolisch für Vieles hiervon. Und hier schließt sich nun der Circulus Vitiosus, der Zirkel der Bedrohungslage. Solange wir solche der Humanität enthobene Staaten in der Region als unsere Intensivpartner begreifen und entsprechend handeln, sind wir weder glaubwürdig noch tatsächlich willens bzw. befähigt, die Ursachen des Übels zu bekämpfen. Dies ist unser eigentlicher, unser ureigener Widerspruch in der Krise: die Doppelmoral unseres Handelns. Und letztlich können wir dann auch nicht sinnvoll und angemessen mit den sog. neuen Völkerwanderungen umgehen, wir produzieren sie munter weiter mit und halten sie in Gang. It´s the economy, stupid! Wirtschaftsinteressen gehen immer vor. Dass wir im Bereich der Entwicklungshilfe immer noch beschämend schwach und blind sind und den Wirtschaftskonzernen, die in den Krisen- und Gefahrenregionen unseres Globus agieren, nicht genug auf die Finger sehen, kommt als weiteres strategisches Defizit hinzu.

Es besteht nun also der dringliche Verdacht, dass mit dem vorherrschenden Wirtschaftssystem nicht die ausufernde Welt- und Europakrise und auch nicht die überbordende, weltweite Armut bekämpft werden können, sondern immer weiter famose und fabelhafte „Glaspaläste“ neben wabernden Schrottbergen und sich ausbreitenden Migrationswüsten und -meeren errichtet werden. Dies fortgesetzt gedacht, wäre dann in nicht allzu weiter Ferne das Ende. Auslöschung. Exterminismus. Ein besseres und verträglicheres Wirtschaftssystem wird kommen müssen, aber es ist, geben wir es zu, nicht in Sicht. Allenfalls in zarten Umrissen. Es kann also dauern, aber wir haben keine Zeit zu verlieren!

Entgegen mancher offizieller Bekundung kann ich nicht erkennen, dass auf Erden die Krisenlösungsphantasien der Offiziellen des herrschenden Blocks an der Macht in Deutschland, Frankreich, England, USA, Russland und weiteren Ländern sowie deren Wahlvölker, sofern sie wählen dürfen, über militärische Lösungen hinaus reichen. Der militärisch-industrielle Komplex stachelt die Krise weltweit an. Das Privatkapital fischt im Trüben. Die UNO verharrt spätestens seit Herrn Ban Ki-moon in ewig lächelnder Erstarrung. Die Staatsregierungen treffen sich, meist „durchbruchlos“, bei ihren gemeinsamen Gipfeln in abgeschotteten Trutzburgen und Tagungstempeln, fernab der Menschen. Die fatalistischen Krieger indessen rücken uns seit längerem auf den Pelz und bekriegen sich auch untereinander. Auslöschung und Vernichtung als Prinzip! Ausrufezeichen.

Nun gut, machen wir uns also auf …und davon! Die irdische Hoffnung starb zuletzt!? Ende Gelände? Wohl wahr. Vielleicht. Ja doch! Sehr wohl. Es sei denn, es sei denn, es gelänge uns etwas geradezu Futuristisches, ja Kosmisches. Es sei denn, es gelänge, einen anderen Planeten „urbar“ zu machen. Erdenrettung durch Aufbruch in die Welt des Kosmos, es ist ja nicht so, dass das nicht längst begonnen hätte! Und es wird, das ist erkennbar, forciert fortgesetzt werden durch neuzeitliche, finanzstarke, kosmische Kolumbusse. Ob dort auf dem Planeten X dann alles besser werden würde? Man kann zumindest sagen: es wäre ein Neuanfang. Aber auch das wird dauern!

Nun gut, machen wir uns auf und davon in andere Sphären, wenigstens zuerst einmal einige von uns, das ist okay, das kann helfen, aber dies soll noch nicht meiner Weisheit letzter Schluss sein. Speranza ultima dea est: Die Hoffnung ist die letzte Göttin, heißt es in einem schönen Spruch aus alten Zeiten. Wo ist also Hoffnung für die verbleibenden 7 bis demnächst 11 Milliarden Erdlinge? Man kann, glaube ich, folgendes sagen: Wenn wir immer mehr „entfühlen“, wie wertvoll sich das gesellschaftliche Leben in Demokratien mit gelebten Menschenrechten und über Jahrzehnte erkämpften Freiheiten anfühlt, dann haben wir verloren. Dann sind wir verloren. Wir sind, so sieht es aus, ziemlich schnurstracks auf dem Weg dorthin! Teile unserer Demokratie wurden bereits zertrümmert. Wollen wir wirklich alsbald ein Leben im Ausnahmezustand? In vielen Ländern unserer Erde ist dies schon Wirklichkeit. Der Hass würde fortan mehr denn je unser ständiger Begleiter sein und unser aller Leben vergiften! Sollen wir uns daran gewöhnen? Weil der Mensch halt ein Gewohnheitstier ist! Fragezeichen.

Der hellwache, italienische Psychoanalytiker Luigi Zoja beschäftigt sich in einem neuen Essay mit der mythischen und archaischen Figur des Zentauren, diesem Mischwesen aus Pferd und Mensch. Er spürt dem Ursprung bzw. dem Wesen der überwiegend männlichen Gewalt weltweit nach und beschreibt das Phänomen auf der symbolischen Ebene als ZENTAURISMUS. Schon immer sei die männliche Identität instabiler gewesen als die weibliche. Gewalt werde in gewisser Weise als Normalität praktiziert in den irdisch weit verbreiteten Sphären des Zentaurismus. Wenn wir wollen, können wir eben hier bei den Zentauren die Formel fürs Überleben finden, indem wir uns den Gegnern und Gegnerinnen der Zentauren zugesellen, den dem Mythos zufolge erfolgreichen Lapithen, die das Böse in ihrem Umfeld niederkämpften, ohne selbst böse zu werden. Und die dabei edel geblieben sind. So heißt es.

Ich ziehe mein Fazit: In der Beschwichtigung, ja gütlichen Versöhnung zwischen Mann und Frau und dem gemeinsamen Kampf gegen die schier unüberwindbar scheinenden Kräfte des Bösen, insbesondere des als alternativlos hinausposaunten, weltweit Chaos erzeugenden Wirtschaftssystems, würden wir dem enormen Verlust an Zivilität etwas Kraftvolles und Energiereiches entgegensetzen, was wirken könnte. Würden wir die Grundlagen schaffen für Rettung! Suchen wir also in diesem Sinne gemeinsam nach Auswegen aus der täglich propagierten Aporie! Gegen die „Schockstrategien“ bestimmter Pseudo-Eliten! Dann werden die weltweit marodierenden und sich austobenden Jungmännergruppen auf den Straßen, in den Stadtteilen, in den Geheimverliesen, seien sie auf sich gestellt, seien sie von grauen Herren und omnipotenten Schreibtischtätern mit Orden an der Brust befehligt und benutzt, dann würden all die brutalen Sesselfurzer, Sadisten, Mörder, Vergewaltiger, Unterdrücker, kurz: die Verächter des Lebens sich allmählich in Luft auflösen, und der Planet, seine Menschen angstfreier, könnte aufatmen. Unser Planet wäre wieder lebbar!

Sagen wir es froh und munter und etwas galgenhumorig zum Schluss mit den Worten aus einem frühen Lied des Poeten Wolf Biermann: „Und doch: Die Hundeblume blüht. Auch in der Regenpfütze. Noch lachen wir. Noch machen wir nur Witze.“


Nahost-Zeitschrift »Inamo«, Heft Nr. 99/100, Januar 2020

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