Gegen Ende des rebellischen Studiums: Marxistische Wirt- schaftstheorie, Trotzkismus

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Auf den Trotzkismus brachte mich im Studium, lang ist es her, neben Isaac Deutschers „Trotzki“ vor allem auch der dicke Wälzer „Marxistische Wirtschaftstheorie“ von Ernest Mandel. Der war ein belgischer Professor für Politökonomie, hing dem Trotzkismus an und wurde von der deutschen Regierung damals wegen seiner Schriften und Vorträge nicht mehr ins Land gelassen (1972, Innenminister Genscher). Man hatte Furcht vor nochmals ausgreifender Rebellion in Deutschland. Über die Lektüre der Bücher Mandels, eines begabten Redners, dem ich einmal einen ganzen Abend life zuhören konnte, habe ich die komplexen Zusammenhänge des „Kapital“ von Marx, angewendet auf die neueren Zeiten, besser verstanden. Mandel erweiterte das politökonomische Wissensreservoir um Bausteine wie den sich globalisierenden, internationalen Handel, die langen Wellen der Konjunktur (in Anlehnung an Kondratjew), das politökonomische Verhältnis USA-Europa, usw. Und er legte sozialistische Gegenstrategien zum Kapitalismus in seinem, wie es hieß, letzten Stadium auf.

In meinem ausgehenden Studium sah ich mich zeitweilig selbst als geistiger Anhänger des Trotzkismus im Gefolge der Vierten Internationale, die 1938 gegründet worden war, um den nationalistischen Stalinismus zu bekämpfen und den von Stalin Verfolgten beizuspringen. Das war in den frühen 70er Jahren. Die so genannte „Permanente Revolution“ versus „Sozialismus in einem Land“ war das große Fernziel. Mitglied in irgendeiner der vielfältigen, teils sektenhaften trotzkistischen Gruppen war ich nie gewesen, es ging mir um gute politische Theorie.

Zugleich faszinierte mich jedoch das Fluchtumfeld von Lew Dawidowitsch Bronstein, eben Trotzki, der von einem von Stalin gedungenen Mörder am Ende in seiner Zufluchtsstätte in Coyoacán, einem Stadtteil von Mexiko-City, mit dem Eispickel hingemeuchelt wurde. Der russische Flüchtige im Exil, der auch kunstversiert war und großes literarisches Talent hatte, gehörte in seinen letzten Jahren zum Kreis des Malers Diego Rivera und dessen Frau Frida Kahlo, die ihn unterstützten. In Mexiko konnte ich Jahrzehnte später am Rande einer beruflichen Reise das Haus von Leo Trotzki und ein paar Ecken weiter das Museumshaus der Malerin besichtigen. Ein beeindruckendes Szenario!

Es war schon verrückt damals in jenen studentenbewegten Zeiten, wenn ich mich daran erinnere, dass wir als junge Studierende in Heidelberg immer wieder in der Kneipe oder auf der Wiese am Fluss zusammensaßen oder spazieren gingen und keineswegs über Alltagssorgen, Einkäufe, den Urlaub in den Semesterferien oder die Liebe sprachen, sondern uns über die Russische Revolution und eben auch über den Trotzkismus ereiferten. Heute so kaum vorstellbar. Wir waren für eine Weile völlig in politische Theoriewelten eingetaucht. Der erste von vielen Tarnnamen des Dissidenten Trotzki, dies nur nebenbei, war übrigens: Feder, die Feder.

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