Hand aufs Herz, wer mag denn nicht italienische Musik?! Ich meine zuvörderst die Oper seit Monteverdi und über Rossini-Verdi-Puccini hinaus und von mir aus bis hin zu Hans-Werner Henze, der ein italophiler deutscher Komponist der Neuzeit mit Wohnsitz in Rom war. Wohl nur „Taube“. Und, ja klar, wohl auch nur „Blinde“. Taubblinde also mögen sie nicht, um es etwas polemisch, aber mit Leidenschaft auszudrücken.
Es gibt, erweitert man das Spektrum der Genres der Italo-Musik, natürlich noch mehr, was anzuhören sich je nach Stimmung und Gelegenheit lohnt. Die Rede ist von den italienischen Barden, den Cantautori von Nord bis Süd, und Straßensänger wie der steinalte und urige Sizilianer Francesco Trincale, den auch in Italien kaum einer noch kennt, sind dabei inbegriffen. Sänger also mit Stimme und Ausdruck und sehr italienischer, auch regionaler Performance bei ihren jeweiligen Auftritten. Jeder auf seine Art eine Wucht in Gestik und Stimme, keiner von ihnen ein Pavarotti, das würde nicht passen, wenngleich das Opernhafte nicht selten mit anklingt. Etwa beim Rockpoeten Adelmo Fornaciari, bekannt als Zucchero, der mit dem Hut. Nein, es geht bei diesem Genre nicht so sehr um das hoch gezogene Intonieren nach Art etwa von „La donna é mobile“ oder dem berühmten Schampus-Lied „Brindisi“ oder gar der rasanten Figaro-Arie, wenngleich die Übergänge zwischen Canzone und Arie in Italien fließend sind, wie man bei näherer Befassung feststellen kann.
Stellvertretend für das Genre der Canzone, begriffen als italienisches Chanson, sei kurz auf den bei uns wenig bekannten Francesco de Gregori verwiesen, der mitunter auch der „Bob Dylan Italiens“ genannt wird. Ich weiß, da gibt es noch Andere und gewiss auch Bekanntere und sowieso in Frankreich, dem Chanson-Land Nummer Eins in Europa. Ich stieß aber mehr oder minder zufällig auf ein altes Lied von de Gregori, das mir, einem Vielhörer italienischer Musik, bisher entgangen war und das mich inzwischen gefangen hält. Immer wieder drücke ich die Taste, die mich zum Lied führt, und lausche.
Das von der Melodie, weniger vom rätselhaften Text her, sehr eingängige Lied, das ich meine, heißt „Signora Aquilone„. Der Sänger beschreibt eine Frau, die seine nämlich, die unter einem grünen Baum lebt und schließlich einem Drachen durch die Lüfte in eine als möglich gedachte Freiheit folgt, ohne dies zu hinterfragen, also, wie es scheint, blind. Mit jenem „Wegweiser“ ist sie durch einen Silberfaden verbunden. Der irgendwie abgewiesene Mann trifft auf einen Säufer, der als Heiliger verkleidet ist und sich Tag für Tag an seinen Tränen betrinkt. Er fragt ihn zweifelnd, ob ihm dies denn gut bekomme. Der Trinker antwortet:
Fratello, é antico come Dio Ma é piú dolce del vino Perché l´ho fatto io
Meine Klage, meine Tränen, Bruder, sind süßer als Wein, weil ich sie gemacht habe, entgegnet ihm also der Sonderling. Und de Gregori beendet das Lied dann noch im Text selbst mit dem augenzwinkernden Hinweis, dass er schon viele Lieder zum Schmerz geschrieben habe, dass „dieses hier“ aber vielleicht nicht gerade sein Bestes sei.
Ho scritto canzoni per tutti dolori E forse questa qui non é delle migliori
Nun, da kommt man schon etwas ins Grübeln…und drückt nochmal die Taste!
Der Song ist, soweit ich sehe, hierzulande unbekannt. Überhaupt nehmen wir in Deutschland das Liedgut der prononcierten italienischen Liedermacher, vom jazzigen Schubidu des Paolo Conte und dem Ohrwurm Pulce d’Aqua von Angelo Branduardi einmal abgesehen, wenig wahr, wie mir scheint. Just wir Deutschen, die wir so sehr und immer noch vernarrt sind in Bella Italia und auch in Bella Ciao, aus dem man leider heutzutage einen nervig hämmernden Popsong für die überrannten Strände des Mittelmeers und die Diskotheken des Nordens gemacht hat!
Aber – kleiner Ausflug – nicht eigentlich hierüber will ich weiter sinnieren, sondern von einem italienischen Hit, einem Schlager, und seinem Erfinder erzählen, womit wir also bei diesem Genre angelangt sind. Es geht mir um einen immer noch höchst beliebten Song aus alten Zeiten, der neben den Rennern „Marina“ und „Volare“ und Gigliola Cinquettis feinem „Non ho l´etá“ zum Non plus Ultra der italienischen Populärmusik und zugleich des musikalischen Ausdrucks der neuzeitlichen „Italianitá“ wurde. Er repräsentiert das einfach verstandene Italienertum wohl am überzeugendsten, wenn man einmal von dem Repertoire der Cinquetti absieht, das sogar in Japan geschätzt und ebenfalls mit italienischem Flair assoziiert wird, dem Chanson aber deutlich näherkommt als dem puren Schlager.
Die Rede ist von dem Hit „L‘ Italiano“, und komponiert und getextet hat ihn Toto Cutugno aus der Toskana, der mit Vornamen eigentlich Salvatore heißt. Als er den Song im Sommer 1983, also vor vierzig Jahren, in San Remo beim Liedfestival vortrug, begann es alsbald seinen grandiosen Siegeszug, eine Art Charme-Offensive in Italien, in Europa, und eroberte schließlich die Herzen vieler Menschen auf der ganzen Welt. Plötzlich verstanden wir alle auf simple Weise oder meinten zu verstehen: Ja, so war, so ist Italien, so sind die Menschen dort. So geht Leben zwischen Parma und Palermo, zwischen Triest und Tarent. Diese Leichtigkeit, dieses scheinbar wenig Geordnete dort, das unsteife Temperament, die kreative Gestik und Mimik, die schmucken Osterie mit den Leckereien…und immer so schick und flott in Schale die Leute, sogar die Carabinieri!
Und geben wir es zu, warum auch nicht: Dem zollten wir Bewunderung, nicht nur, wenn wir vor Ort waren und bis hin zu dem Gesang des badischen Barden Walter Mossmann mit seinem schlichten, aber herzlichen Statement im Valpolicella-Lied, lange ist´s her!
Auch ich war in Italien Und bin noch satt vom Zuschau'n Toll, was sich doch die Leute Drunten im Süden zutrau'n!... …Valpolicella macht mutig und froh Viva Italia und Dario Fo.
Wie freuten wir uns damals, die Stimmung war allemal prächtig! Und in der Tat schauten wir mit großen Augen zu.
Aber zurück zu: „Der Italiener“ von Cutugno. Der gut mitsingbare Song mit dem pfiffigen Text hatte trotz seiner Simplizität Magie, und er hat diese für mich heute immer noch. Für Viele war es für einige Zeit DAS LIED schlechthin, eine Hymne. Jedenfalls soweit es um Italien und den Schlager ging und es ging uns damals in der Tat oft und viel genau darum. Es kam damit zugleich ein mittelmediterranes Lebensgefühl zum Ausdruck, vor allem, wenn wir das Lied, zumindest den Refrain, mitsangen und uns irgendwie dazu wiegten oder gar tanzten. Entgehen konnte man diesem Hit damals über Jahre sowieso nicht.
Lasciate mi cantare Con la chitarra in mano ...sono un Italiano Un Italiano vero
Mit der Gitarre in der Hand sang fortan der Sunny Boy mit seiner rackerauchzarten Stimme aus allen Boxen und Monitoren und von allen Tour-Bühnen herunter, dass er ein Italiener sei, ein echter, ein wahrer Italiener, ein Italiener, wie er im Buche steht: Guten Tag, Italien, Du mit Deinen Spaghetti al dente und mit einem Partisanen als Presidente. Du, Italia, mit Deinen Künstlern, mit Liebe und Herz und mit Maria, mit Melancholie in den Augen, stets gerne gekleidet in Blu, auf Tour mit dem Fiat 600, mit den Movies sonntags im TV dazu.
Zum ursprünglichen Umgang mit diesem Song gibt es eine launige Anekdote, die in Italien inzwischen bekannt ist und die ich hier – lange Vorrede, kurzer Sinn – nun endlich nacherzählen möchte, indem ich vor allem die Protagonisten zu Wort kommen lasse.
Gemeint ist dabei auch Cutugnos Freund Adriano Celentano, der mit der dunklen Sonnenbrille. Dieser sagen wir: alte und ewig junge Recke des italienischen Schlagers von „Azzurro“ oder „Una Festa Sui Prati“ bis zum sanften Protestsong „Il Ragazzo della via Gluck“, gab die Story, um die es geht, neulich der italienischen Öffentlichkeit zum Besten. Das war im August 2023 aus Anlass des Todes von Cutugno, der im Verlauf seiner Karriere viele Lieder auch für andere bekannte Sänger und Sängerinnen schrieb und etliche große Musikpreise abräumte, darunter San Remo und auch der ESC in Zagbreb.
Vierzig Jahre nach dem Start des riesigen Erfolgs von „L´ Italiano“ ist „Toto Nazionale“ nun nach langer Krankheit gestorben. Er wurde achtzig Jahre alt. Zur Trauerfeier in Mailand versammelte sich eine große Menschenmenge. Reden wurden gehalten, Blumensträuße niedergelegt, Tränen flossen reichlich, und natürlich wurde auch sein Lied der Lieder gesungen:
Lasciatemi cantare Con la chitarra in mano Una canzone piano piano Sono un Italiano.
Die beiden Sangesbrüder waren also eines Tages, es war nicht mehr sehr weit bis zum San Remo-Auftritt Cutugnos, in einem Cinquecento unterwegs, einem Fiat 500 diesmal, als Toto Adriano vorschlug, den gerade von ihm getexteten und komponierten Song zu performen. Adriano war perplex ob des Angebots, und es entspann sich während der Fahrt folgender Dialog, den ich hier sinngemäß rekapituliere:
Toto: Du musst unbedingt meinen Song singen, Adriano, bitte!
Adriano: Ich? Wieso ich? Warum nicht Du? Ist doch Dein Ding!
Toto: Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, musste nur daran denken, was das für ein Erfolg wird: Du als Interpret, ich der Autor.
Adriano: Ja, der Song ist wirklich stark, Toto, aber da ist dieser Satz im Refrain: „Ich bin ein echter Italiener.“ Das kann ich nicht singen. Damit würde ich mich, glaube ich, überheben, zu sehr erheben, verstehst Du?!
Toto: Aber, verflixt, kapierst Du nicht, dass das genau der Punkt ist? Als ich den Song schrieb, habe ich an Dich gedacht, denn Du bist in der Tat der wahre Italiener!
Adriano: Ja, ich weiß, aber ich muss das nicht auch noch vor mir hertragen. Das läuft mir so nicht raus, versteh´ doch!
Vierzig Jahre später gestand Celentano, den sie in Italien wegen seines Gangs immer noch den Federnden („Il Molleggiato“) nennen, nun posthum zum Tod seines Freundes folgendes ein (1):
Adriano: Es war ein Fehler von mir damals, Toto. Zu viel Bedenken meinerseits. Aber Du, Toto, lass Dir sagen, Du hast das Lied gesungen, wie ich es auch gesungen hätte, wenn ich es denn getan hätte. Du bist und bleibst unvergesslich. Ti voglio bene!
Die Freundschaft der Sänger mit der ähnlichen Stimme blieb damals über die Jahrzehnte erhalten, und Cutugno schrieb noch etliche Songs für Celentano, die dieser dann durchaus erfolgreich in sein Repertoire aufnahm. „Der Italiener“ (2) bleibt jedoch für immer und ewig Toto!
(1) Per Instagram-Post vom 22.8.2023; ANSA Nachrichtenagentur, 24. August 2023
(2) Es gibt übrigens aus jener frühen Zeit auch ein Chanson, das der Italo-Franzose Serge Reggiani berühmt machte und das ebenfalls den Titel „Der Italiener“ (L‘ Italien) trägt. Was in diesem nachdenklichen Lied über die Verzweiflung eines italienischen Heimkehrers erzählt wird, ist eine ganz andere Geschichte. Aber nicht weniger untypisch!