It’s Talk Show Time

I

Eine Persiflage

„Einen… wunderschönen guten Abend, liebe Zuschauer und Zuschauerinnen an den Bildschirmen zu Hause und einen ebenso schönen guten Abend, liebe Gäste im Studio. Um genau 22.17 Uhr live und in Farbe sind wir wieder auf Sendung mit unserem heutigen Thema: Werden die Karten neu gemischt? Darüber reden wir in der folgenden Stunde mit diesen unseren Gesprächspartnern, den geladenen Experten.innen, Journalist.innen und Politiker.innen, als da sind: Herr Äh, Frau Aha, Herr Ähm, Herr Ähee und Frau Aua! Seien Sie alle herzlich willkommen!“ 

Die Moderatorin Britt Nera Ill, diesmal im Blazer in Mauve und in Jeans Pantone Blu, geht federnden Schritts auf die „illustre Runde“ zu und nimmt, den Blick nach vorne gerichtet, auf dem für sie reservierten Stuhl Platz. 

„Ja, meine Damen und Herren, schön, dass Sie heute bei uns sind, das freut uns alle sehr, meine erste Frage in die Runde ist unschwer zu erraten und ich stelle sie sogleich: Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein. Werden die Karten tatsächlich neu gemischt? Das frage ich Sie mit Dringlichkeit aus dem gegebenen, Ihnen allen bekannten Anlass.“ 

„Tjaaaa… 

„Ja, Herr Äh, bitte, Sie als Erster, gerne!“ 

…ich möchte sagen, dass die Frage, verzeihen Sie mir, in der falschen Zeitform gestellt ist, denn die Karten sind längst neu gemischt worden. Zwischen Futur und Vergangenheit gibt es einen eklatanten Unterschied. Und, ich möchte dies hier betonen, das hat seinen Grund darin, dass die Gegenwart dazwischen liegt.“

Beifall aus dem Publikum.

„Was, mit Verlaub, reden Sie da, indem Sie einfach etwas behaupten, weil es Ihnen…

„Ich war noch nicht fertig, Herr Ähm, unterbrechen Sie mich bitte nicht schon beim ersten Satz.“ (räuspert sich heftig)

… ins Konzept passt, um das es hier gar nicht geht. Sie wollen offensichtlich das gestellte Thema, das Ihnen peinlich ist, von Anfang an weghusten. Warum sind Sie dann überhaupt gekommen, frage ich mich?“ 

„Oha, das ist jetzt aber ein böswilliger Start in unseren Talk.“ 

„Nein, böse ist etwas anderes, Frau Aua. Diejenigen, die die Karten mischen, hier in der Runde vor Publikum anders mischen wollen, sind schlicht und einfach, ich kann es, mag es auch zugespitzt klingen, nicht anders sagen, insoweit bösen Sinnes, als auf ihren Vorteil allein und den ihrer Partei bedacht.“ 

Starker Beifall aus dem Publikum.

„Herr Äh, damit sind wir gleich nochmal bei Ihnen, da sind Sie jetzt gefragt, das betrifft Sie mit der ganzen Wucht der Aussage, starker Tobak sozusagen.“ 

„Wucht? Woher denn, fast möchte ich sagen: nicht Wucht, sondern Abgrund, irgendwie unterirdisch. Aber so kennen wir Herrn Ähm ja seit langem. Das Böse wird flugs zu uns hin manövriert, quasi subkutan oder gerne auch ganz offen, und dies immer ohne empirische Belege, ohne haltbares Zitat. Im freien Fall des Gedankens, sozusagen (Äh atmet schwer). Wissen Sie, das ist, jawohl, unanständig ist das. Aber ich weiß ja: Sie sind in Talkrunden ständig unanständig. Und auch im Parlament. Es fehlt Ihnen am rechten Maß an Selbstbeherrschung. Und das darf man dann schon mal böswillig nennen… 

Oh, Oh-Rufe aus dem Publikum. 

…Sie selbst bezeichnen zum Beispiel einen lupenreinen Demokraten als böse, ich erinnere an Ihren letzten öffentlichen Auftritt vor Tagen, ich glaube am Freitag im Frühstücksfernsehen war es. Das geht schon ex definitione nicht und trifft auch sachlich nicht zu.“ 

„Reine Verschlimmbesserung, ich bleibe da leidenschaftslos! Das Böse sollten wir ignorieren.“ 

„Ach ja, interessant! Wen wollen Sie denn mit solch schmalgespurtem Gedankengut von was überzeugen, Herr Ähm? Am Ende glauben Sie… 

„Jetzt gehen Sie zu weit…“

…halt stopp, ich lasse Sie auch ausreden, am Ende glauben Sie doch selbst nicht, was Sie hier insinuieren.“ 

„Können Sie zur Abwechslung mal Deutsch reden, Herr Kollege?!“

„Wissen Sie, verehrter Herr Kollege, was böse ist? Ich will Ihnen dies einmal  ungeschminkt ins Gesicht sagen: die Art und Weise, wie hier von Ihrer Seite mit Unterstellungen gearbeitet wird. Geht es Ihnen wirklich um die Sache, dann beten Sie gefälligst nicht einen fehl interpretierten Thomas Hobbes gegen unsere Intentionen herunter, davon hat niemand etwas, völlig abwegig ist das!“ 

„Oh, jetzt wird´s auch noch philosophisch, sehr schön, lustig, lustig…“ 

„Meine Damen und Herren, bitte…!“ 

„Der Philosoph des Bösen in der Welt wird also bemüht. Der 350 Jahre alte Denker des Absolutismus. Aber der meinte Kriege als das Böse! Die Menschen seien von Natur aus im Kriegszustand, lautete sein Hauptbefund. Glauben Sie im Ernst, dass die Bürger und Bürgerinnen draußen im Land Ihnen dies hier abnehmen? Wollen Sie die Leute draußen im Land zum Narren halten? Kriege, das Böse, wir hier, hahaha, was für ein Lapsus, Ihr Stil, das steht fest, passt zu dem, wofür Sie seit Jahren stehen: Polarisierung!“ 

„Halt stopp, meine Damen und Herren! Ich sehe meine Eingangsfrage noch nicht beantwortet. Sie wissen doch, die Fragen stellt hier die Moderatorin, bei uns ist das so, wenn wir auf Sendung sind!…

Die Moderatorin lächelt mit gespitztem Mund und fast geschlossenen Augen und fährt fort:

…Frau Aha, darf ich Sie mal fragen, wie ist nun Ihre Position zu meiner Eingangsfrage, ob die Karten neu gemischt wurden, nein, werden? Jetzt bring ich, na sowas, das Tempus, huch, die Tempusse auch schon durcheinander.“ 

„Das lässt sich leicht beantworten, lassen Sie mich…

“öh“…  

„…nein, lassen Sie mich jetzt ausreden, lassen Sie mich in aller Kürze drei Dinge dazu sagen, weil es wichtig ist: Zum einen scheint mir relevant, einmal Einigung darüber zu erzielen, was überhaupt Karten sind. Zum zweiten, ja Sie feixen schon wieder, das kennt man von Ihnen, zum zweiten steht doch fest, dass „neu“ nur im Abgleich mit „alt“ gesehen werden sollte…

Beifall aus dem Publikum, während draußen vor der Studiotür ein lauter Streit zweier Männer abläuft, der für Momente ablenkt. Jemand scheint Einlass zu begehren.

…Und zum…, was ist jetzt, was ist da draußen los…, ach so die Aufsicht, okay, und zum dritten gilt doch allemal immer noch, dass nicht der Vorgang des Mischens, sondern das Ergebnis des Mischvorgangs im Fokus stehen muss, falls Sie mich verstehen. Auf diese Triade sollten wir uns jetzt konzentrieren, und ich sage dies ganz im Ernst und überhaupt nicht mit stinkstiefeligem Affekt, wie man uns das von Ihrer Seite für gewöhnlich unterstellt. Da können Sie noch so lupenrein daher schwadronieren, Demokratie ist immer ein Sich Mischen. Bösartig ist, wenn man diese Evidenz so kategorisch wie Sie hier in Abrede stellt. Das wird man wohl noch ungestraft sagen dürfen, auch wenn´s Ihnen nicht passt. Ich für meinen Teil ziehe Locke vor, John Locke.“ 

„Machen wir doch gar nicht, unglaublich! Wir stellen, ich stelle nichts in Abrede. Nein, so geht das nun gar nicht, werte Frau Kollegin! Vorwürfe, Ausflüchte, völlig sachstandsfrei! Obendrein ohne jeden gesunden Menschenverstand! Mit Verlaub, aus der Luft gegriffen ist das und die ist voller Aerosole, wie Sie wissen. Sehr ungesund! Der arme Hobbes würde sich im Grabe umdrehen! Aber ich bin ja auf Sie eingestellt und habe die Ruhe weg, sonst müsste ich spätestens jetzt den Raum verlassen.“ 

Bravo-Rufe aus dem Publikum: Er soll gehen, er soll gehen! Er ist der Stinkstiefel!

„Liebe Studiogäste, bitte keine lautstarken Gemeinheiten, dazu haben wir Sie als stumme Zeitzeugen nicht eingeladen! Hier geht niemand. Ja, bleiben auch Sie bitte ruhig und gelassen, Herr Äh! Wir brauchen Sie noch. Bleiben Sie bitte sitzen! Wir sind ja längst einen Schritt weiter, indem wir eine klare Verbindung zwischen lupenreinen Demokraten und Demokraturen, pardon, Demokratinnen, uff, jetzt verrutscht auch mir im Trubel so Einiges, und dem Mischen der Karten hergestellt haben. Das scheint weitgehend Konsens hier in der Runde zu sein, stelle ich fest. Hobbes hin, Locke her, ich spiele Ihnen mal einen deutschen Demokraten beim Kartenmischen ein, schauen Sie mal! 

Die Moderatorin drückt auf den Button ihres iPads. Es wird ein Spot präsentiert, in dem das goldene Porträt eines ehemaligen, deutschen Kanzlers gezeigt wird, das Bildwerk eines bekannten Malers aus Düsseldorf. Und der hinzu animierte, bewegliche Torso lässt jede Menge Karten zu Boden fallen, auf denen bezifferte Währungszeichen abgebildet sind: Euro, Rubel, Dollar, Yen, Renminbi.

„Meine Damen und Herren, das ist es also, darum scheint es zu gehen: der schnöde Mammon. It´s the economy, stupid, maunzte ein amerikanischer Präsident dereinst, ist das denn wirklich so, ich möchte sagen, so einfach? Was hat, gestatten Sie mir die Frage, die ich durchaus ernst meine, es ist ja unser Thema, was hätte das Volk davon, wenn solche Karten auf diese Weise neu gemischt werden?“ 

Tosender Beifall aus dem Publikum und sonorer Einzelruf aus voller Brust: Wir sind das Volk! Im Kreis der Saalordner/innen verbreitet sich nervöse Unruhe.

„Das kann ich Ihnen sagen, Frau Ill, dann müssten die Anwesenden aber auch mal zuhören.“ 

„Ja, bitte, Herr Ähee!“ 

„Niemand, aber auch wirklich niemand, wünscht, das sollten Sie alle mir in aller Fairness, falls Sie dazu fähig sind, abnehmen, dass die Karten falsch gemischt werden. Mir mit dieser, ich spüre das ja, Hinterfotzigkeit zu unterstellen, ich würde den Unterschied zwischen Demokratie und Absolutismus verkennen… 

Zwischenruf aus dem Publikum: Demokratur muss es lauten, Demokratur! 

…das ist schon ein starkes Stück. Das ist fast schon umweltschädigend!“ 

„Nun ja, wenn Sie bewusst selektiv hinhören, dann können Sie dies natürlich tun, das ist eine altbewährte Taktik, aber die verfängt bei mir nicht, wissen Sie, ich bin seit vielen Jahren Abgeordneter und in den Ausschüssen tätig, ich kenne mich aus. Die ökologische Frage zudem mit unserer Debatte übers Kartenlegen, äh -mischen, zu amalgamieren, ist…

„Oha, jetzt kommt es, hört, hört!“ Einzelruf: „Sind wir beim Zahnarzt?“

…schlicht und einfach, seien Sie mir nicht böse, auf clevere Weise voll daneben, denn unser Thema war und ist das Mischen von Karten, nicht saubere Luft oder sauberes Wasser oder die Erderwärmung!“ 

„Wohl wahr, wohl wahr! Sehr gut!“

Ein hagerer Mann, in die Jahre gekommen, prägnanter Schrägscheitel, man kennt ihn, stürzt in diesem Moment spornstreichs zur Studiotür herein und nähert sich gestikulierend der Runde der Disputanten. Die Saalordner eilen vorsorglich nach vorne, als er schon zu dozieren begonnen hat, greifen jedoch erst einmal nicht ein:

 „Die Aerosole…, ja genau, die Aerosole, und so viele, also, Menschen hier im Raum, das ist gegen die Regeln, das ist unvernünftig, meine Herrschaften, das muss ich Ihnen leider sagen. Entschuldigen Sie bitte meine Verspätung, es ist gar kein Stuhl für mich da, egal. Saubere Luft, also, Luft ohne, möchte ich sagen, Viren, das ist es, das ist das entscheidende Stichwort, jawohl, ich rede jetzt als Wissenschaftler, als Arzt, als das Mensch schlechthin, wenn Sie so wollen. Ich kann also nur warnen, wir müssen das Virus mit aller Konsequenz entfernen, denn es schläft nie, und Sie wissen ja, auch das Salz, dieses Gift, arbeitet böse in unseren Körpern, wenn wir es nicht…“

„Stopp, Kalle, Du hast Dich…, äh pardon, Herr Professor Doktor Also, Sie haben sich vertan, Sie sind, warum auch immer, in die falsche Runde geraten. Sie sind erst für übermorgen eingeplant, wenn es um „Gesundheit“ geht! Ich muss Sie leider bitten, wieder zu gehen, unser Talk neigt sich sowieso dem Ende zu.

„Oh, dann ist heute nicht Donnerstag?“

„Nein, heute ist Dienstag, Herr Also, wir sind in einer Sondersendung zum Thema „Die Karten neu mischen“. Sie haben sich vertan.

Herr Also: „Ja umso besser, dazu könnte ich präzise hygienische Beobachtungen beisteuern, mit Karten und Mischungen aller Art kenne ich mich aus, aber ich soll wohl gehen, na gut, wenn Sie meinen! Ich glaube, ich muss also rüber ins andere Studio!

Herr Also zieht irritiert, fast schon entgeistert, ab. Die Moderatorin, mit Blick auf die Uhr und die Hinweise zum Abspann auf ihrem Kärtchen: 

„Frau Aua, Sie sind in dieser lebendigen Runde heute leider kaum zu Wort gekommen, Ihnen gebührt aber nun immerhin das Schlusswort. Wenn Sie sich nur bitte kurzfassen würden, unsere Sendezeit ist beinahe vorbei.“ 

Frau Aua („sehr gerne, danke!“) nestelt an der Creole an ihrem linken Ohr, hüstelt kurz, aber bedeutungsvoll und beschließt die Runde mit einem finalen Statement: 

„Wir müssen, denke ich, die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen. So viel Konsens sollte hier in der Runde bei aller Unterschiedlichkeit, bei aller Diversität der Argumente, möglich sein. Mehr, liebe Kollegen und Kolleginnen, möchte ich hierzu nicht sagen. Ich bedanke mich.“

„Gut, sehr schön, ein treffendes, ein weises Schlusswort, ein finales Rauschen im Walde könnte man sagen, wunderbar, das war´s für heute. Danke für Ihre Zeit! Ich bedanke mich für die engagierte und spannende Debatte und die Erkenntnisse, die uns alle sehr zum Nachdenken angeregt haben und sicher noch lange beschäftigen werden. Wir sind am Ende und damit sind wir bei einer neuen Ausgabe der Nachrichten des Tages, heute ausnahmsweise gleich nach unserem Talk.

Ein Monitor mit Blick auf das bereits besetzte Nachrichten-Studio wird eingeblendet, wo seitlich Herr Also kurz hereinwinkt, aber sogleich hinterrücks aus dem Blickfeld gezogen wird.

Etta Mary Slo-Ka, wie geht es bei Euch weiter?“ 

„Tja, danke, Nera, wir machen weiter mit…Krieg! Diesmal Mali und das äthiopische Tigray. Dann berichten wir noch über den G7-Gipfel, die, na ja, Push Backs von Frontex, wie es so heißt, und nicht zuletzt steht der Gesundheitsexperte Herr Also schon bereit, um uns hinsichtlich der Erfordernisse der Pandemiebekämpfung auf den neuesten Stand zu bringen. Dann noch der Sport und das Wetter.“ 

„Danke, Etta, und nach den Nachrichten sind wir dann zu ganz später Stunde wieder bei Mark im Talk, bleiben Sie dran, wenn Sie mögen, es bleibt spannend. Und bleiben Sie gesund!“

Brandender, langanhaltender Applaus. Fetziger musikalischer Tusch zum Abschied, während sich die Teilnehmer.innen von Neras Runde launig plaudernd erheben.

Moderator Mark Jo Lan, wie immer knappsitzender, blauer Kaschmir-Anzug, braune Stiefeletten, jugendliche Ausstrahlung, wird eingeblendet, lächelt und macht ebenfalls seine Ankündigung:

„Guten Abend, heute sind bei uns gleich folgende Gäste im Studio: der verarmte Schlagerstar Öh aus der Uckermark, den das Pech verfolgt; die einbeinige Ballerina Ui aus Ulan Bator; der renommierte Frankfurter Immun-Soziologe Dr. Dr. Üffz, die buddhistische Yoga-Lehrerin Yrk und der sizilianische Kranführer Mio, der, seine Frau und drei kleine Kinder zurücklassend, heute auf den Tag genau vor 55 Jahren aus Palermo zu uns nach Herne gekommen ist. Bleiben Sie dran! Es lohnt sich. Ich freue mich, bis gleich!“

„Und nun die Nachrichten aus aller Welt.“

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