Und Gott weinte

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Der Herr, nachdem er eine lange Pause gemacht hatte, um nicht weiter das übliche Geschrei und Gelächter, das Krachen und Tosen zu hören, vielmehr sich seinen kreatorischen Gedanken in Ruhe widmen zu können, beschloss, wieder einmal sein feines Ohr an die Erde zu legen. Wie gewohnt von seinem Balkon aus. Doch erstaunt prallte er zurück. Milliarden von Klingeltönen auf einmal umschwirrten sein Haupt gleich dem Brausen lautmächtig gewordener Ameisen, gleich dem Zirpen riesenhafter Zikaden – ein bombastisches Rauschen, wie er es bisher nicht gekannt hatte. All dieses wirre Sirren, das die Erdlinge jetzt Kommunikation nennen, wie er alsbald mit Kopfschmerzen bemerkte. KOMMUNIKATION!

Die Welt, sie schien ihm plötzlich so fremd gepolt. Bekniffen lehnte Gott sich zurück und versuchte, während er sich durch den Bart strich, abzuschalten. Dies war ihm alles so wundersam neu und so strange. Und beunruhigt dachte er nach und suchte nach Inspiration, ja Deutung: Was geschieht da unten, was ist das da drüben? Zur smarten Telefonie hinzu jetzt immer rasantere Apparaturen, rasend pulsierende Plattformen, Avatare, Apps und nun noch diese KI, wie sie es nennen, all der neue Kontaktkram. Ränkeschmiede, verrohte Grobiane! Inthronisierungen und zugleich diabolische Verwerfungen ohne Ende im Wechsel über ihre wabernden Netze! Eifernde Manie, befand er, um nicht zu sagen: ONANIE! 

Oh Mensch, oh Gott, dachte er! Was soll das? Wollen die sich nach Art der Lemminge vom Wirklichen verabschieden, wollen die sich gar ganz abschaffen und vielleicht auch mich dazu? Was ist nur aus meinen Geschöpfen geworden? Sie scheinen mir so schrecklich außer sich. Sind sie mir an der Welt, in die ich sie dereinst setzte, nun gänzlich irre geworden? Irre, ohne dass sie dies in ihrer Verstocktheit überhaupt kapieren? Kollektiver Zurechnungsfähigkeitsverlust, brummte er missmutig vor sich hin.

Und er sah, dass es nicht gut war. So babylonisch verwirrt mutet all dies jetzt an. So verloren sie selbst erscheinen mir sie, die ich einst schuf. Verkabelt, verdrillt, verlinkt, letztlich aber vereinzelt, ja vereinsamt, schoss es ihm durch den Kopf, während er sich eine Cohiba anheizte. Bin ich, der freudige Schöpfer, denn auf Erden noch von Wert, dort fernab im All? Sollte ich nicht besser an Dich, meine versierte Göttin, übergeben, Du meine zauberhafte Geliebte, durchfuhr es ihn. Aber was würde durch Dein Erscheinen, gar Dein Eingreifen dann besser? Vielleicht etwas, was ich nicht zu erahnen vermag, denn es ist ja durchaus wahr, musste er zugeben: Selbst ich weiß nicht, WAS ich nicht weiß!

Versagensängste plagten den waltenden Herrn. Sorgenfalten legten sich über sein Antlitz. Saure Zweifel stiegen in ihm hoch, aber auch eine bis dato nicht gekannte Wut. Und so beschloss er, seinen geschätzten Kreaturen ein deutliches und vielleicht letztes Zeichen zu senden, erwog für Momente sogar, ganz den Stecker zu ziehen. Es war, wie auch immer, diesmal wahrlich kein gütiges, es war ein sehr brüskes und heftiges Zeichen, ein Appell aus tiefer Bitternis. Denn Gott war bei aller Liebe und Milde, zu der er ansonsten fähig war, sehr zornig geworden. Fuchs-teufelswild fast schon!

Während er unruhig weiter qualmte und sich der anregende Duft nach Zeder, Leder und Holz auf dem Balkon verbreitete, kamen ihm plötzlich die Tränen und benetzten seine knochigen Wangen, bevor sie sich im Barthaar stauten. Aus dem nahen Wohngemach klang beschwichtigender Gesang herüber. Unglaublich schön und klar, schwebend und tragend. Einer wahren Diva würdig.

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