Was, lieber Mann im Mond, haben COVID und OVID gemeinsam?

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Eine Groteske (1) 

COVID, das krönend krank machende Virus, geistert seit Anfang 2020 durch unsere irdischen Welten. Auf der Trasse von Corona! Ovid, der römische Poet, soll das Licht der Welt im Jahr 43 vor Christus in den augusteischen Zeiten erblickt haben. Lange Zeit lebte er in seinem Geburtsort Sulmo unweit von Rom, wo er die (freie) Liebe besang: „Amores“ Mit vollem Namen meint COVID „Corona Virus Disease“. Mit vollem Namen nannte sich der Dichter der Metamorphosen Publius Ovidius Naso, die große Nase.

Was für ein bewegendes, zweiteiliges Dichterleben – launige, heitere und traurige, jedenfalls lateinische Verse, mit denen man uns Schüler/innen im Lyzeum damals vor 1968 wohlmeinend plagte! Wir pubertierten und hörten und übersetzten und lasen von Eros und sogar Liebesvernunft, die das Liebesleid mindern sollte. Wir, jedenfalls viele von uns, waren verwirrt und duckten uns gespannt in uns ein. Dann kam das Abitur, das wir alle schafften. Sonst nicht, aber in Latein schnitt ich prima ab. Im Hintergrund spielte die Hongkong-Grippe ihr Lied vom Tod. Influenza. Wir nahmen das Desaster in Speyer am Rhein kaum wahr.

Ovid, dieser Meister der ellenlangen Hexameterfolgen und weiterer antiker Versmaße wie die Distichen und Daktylen, schrieb auch eine Kunst des Liebens, seine Ars Amatoria, in jenen Zeiten, als er von der ersten zur zweiten und dann zur dritten Ehefrau wanderte. „Corinna“ war die Hauptfigur dieser Liebeslyrik und man weiß nicht, ob sie erfunden war oder ob es sie tatsächlich gegeben hatte. Heutzutage liest sich Vieles, was der Dichter über die Liebe schrieb, wie simple Rezeptur bzw. mutet seltsam an.  Ein Beispiel (2) sei gestattet:

Si paeta est,`Veneri similis`: si rava, `Minervae`: Sit `gracilis`, macie quae male viva sua est; Dic `habilem`, quaecumque brevis, quae turgida, `plenam`.

„Schielt sie, so heiße sie der Venus gleich; sind ihre Augen graugelb, so gleiche sie Minerva; stirbt sie fast vor Magerkeit, sei sie schlank; nenne eine jede, die klein ist, handlich, die Dicke vollschlank.“

Aber ganz gleich, was nützt  (ihm) all die Liebe, all der Liebesrat, wenn´s dem mächtigen Kaiser letzten Endes so gar nicht passt? Und zwar wohl wegen der damals neuen römischen Moral, denn Ovid fabulierte für damalige Verhältnisse durchaus grenzwertig, ja frivol über Liebe und Sex. Man sagt, dies oder vielleicht auch der Umstand, dass er zu viel über die einschlägigen Liebesbeziehungen am Hof des Augustus wusste und dies auch artikulierte, hätten dazu geführt, dass er alsbald so hart in Ungnade fiel.

Was es mit COVID auf sich hat? Einen Moment bitte! Patientia, würde der Dichter sagen.

Ovid weilte im Jahr 8 nach Christus auf Elba und war immerhin schon gut 50 Jahre alt, als ihn die höchstoffizielle und bittere Nachricht erreichte, er sei auf immer nach Ponto verbannt. In die Dobrudscha südlich des Donau-Deltas, wohin das imperial-expansionistische Rom längst seine Fühler ausgestreckt hatte. Limes und Donau bildeten damals die nördlichen Grenzen des römischen Reichs. Exilium ohne Verfahren, eine Entscheidung allein des Kaisers!

Südost-Rumänien am Schwarzen Meer (Pontus Euxinus) bzw. genauer: das Kaff Tomis, wo  später Constança wuchs, war fortan sein kontrollierter und fixierter Aufenthaltsort. Frau und Tochter blieben verzweifelt, jedoch gewiss hoffnungsvoll, zurück. Man sagt, die Strafe sei noch milde ausgefallen, weil Ovid, der aus vermögendem Landadel stammte, seine Bürgerrechte und seinen Besitz behalten konnte. Und er wurde nicht für vogelfrei erklärt. In Rom hätte er es eigentlich bis zum Senator bringen können, aber er hatte es früh vorgezogen, mit Herz, Seele und Geist Dichter zu werden. Dazu hätte beruflich nichts Anderes gepasst, dessen war er sich schon als junger Mann zum Leidwesen seines Vaters sicher gewesen.

Seine Verzweiflung in der für ihn äußerst unwirtlichen Fremde mit sehr kalten Jahreszeiten, Malaria-Sümpfen in der Umgebung (3), ohne die ihm so vertraute römische Zivilisation und sprachlich von der lokalen Bevölkerung, den dakischen Geten, isoliert, drückte der Dichter in seinen berühmt gewordenen Klageliedern (Tristia) und in seinen „Briefen aus der Verbannung“ aus. Von Tomis schickte er immer wieder hoffnungsvoll Briefe nach Rom.  Mit dem folgenden Vers brachte Ovid seine Lage auf den Punkt und nahm Abschied:

Hic ego qui iaceo tenerorum lusor amorum Ingenio perii, Naso poeta, meo.
At tibi qui transis, ne sit grave quisquis amasti. Dicere: Nasonis molliter ossa cubent.

„Ich, der ich hier liege, Naso, der Dichter, Spieler zärtlicher Liebesgeschichten, bin an meinem eigenen Talent zugrunde gegangen. Aber dir, der du vorbeigehst, soll es, wenn du je geliebt hast, nicht schwerfallen zu sagen: Mögen Nasos Gebeine weich ruhen!“

Die Briefnachrichten in Versform erreichten das Herz des Augustus und auch das seines Nachfolgers Tiberius nicht. Das Exil blieb bestehen, und Ovid mutierte zwangsläufig zum Exildichter. Er starb nach einer knappen Dekade wohl eines natürlichen Tods bzw. an Krankheit vereinsamt vor Ort, ohne seine Heimat im Süden, von der ihm nur die Erinnerung geblieben war, jemals wiedergesehen zu haben. Wenngleich einige Zweifler bzw. Schlaumeier behaupten, er sei nie wirklich im Exil gewesen. Komme doch sein Exil ausschließlich in seinem Werk vor.

COVID? Ach ja, natürlich. Bitte haben Sie noch etwas Geduld, ich komme gleich dazu.

Was von Ovid bleibt, der zusammen mit Horaz und Vergil zum dichterischen „Triumvirat“ der römischen Antike zählt, sind neben seiner Liebespoetik und den Tristen vor allem die Metamorphosen, also die alten griechisch-kleinasiatischen Sagen, die er kunstvoll neu erzählte; 15 Bücher insgesamt, darunter so bekannte Geschichten wie „Der Raub der Europa“, „Dädalus und Ikarus“, mein Favorit „Narziss und Echo“, mein zweiter Favorit „Orpheus und Eurydike“.

Zwei Statuen zeugen darüber hinaus von seinem Ruhm, eine in Constança am Ovid-Platz und eine im Geburtsort Sulmo, heute Sulmona. Auch heute noch heißen viele Rumänen mit Vornamen Ovidiu. Und unweit Constança liegt sogar eine Kleinstadt namens Ovidiu, nach dem Dichter benannt. Genaues weiß man nicht, aber eine nahe Lagune soll „seltsame Erschei-nungen“ zeitigen, wie es auf dem digitalen Portal des Orts heißt, und Ovid soll dort  seine Exilbriefe verfasst haben. Während Rumänien Ovid also auch für sich beansprucht (4), ist er erst im Jahr 2019 nach Italien zurückgekehrt, wenn man dem Titel der bereits erwähnten Ausstellung folgt: „Die Rückkehr des Ovid nach Rom – diesmal als Ausstellung“, nachdem er dort und in ganz Europa in Mittelalter und Renaissance weit verbreitet und vielfach gefeiert worden war. Die Buchdruckkunst hatte damals Ihr Übriges getan – bis heute. Ovid ist weiter präsent.

Fährt man heutzutage von Ovids Geburtsort nach Westen, gelangt man in zwei Stunden nach Rom. Fährt man von seinem Exilort nach Westen, gelangt man in zwei Stunden nach Bukarest. Dies kann Ovid jedoch nicht zum Trost gedient haben, denn die Hauptstadt Rumäniens wurde erst 1459 gegründet – kurz nach dem Fall Ostroms.

Ja gut, aber…was haben COVID und OVID, sapperlot, nun also gemeinsam? Die Antwort kann jetzt endlich gegeben werden: NICHTS, rein gar nichts, meint der liebe Mann von der steinigen Rückseite des Mondes. Quod erat demonstrandum! Nichts…so wie Freund Otto nichts mit Lotto zu tun hat. Ich weiß es. Er spielt nicht.

Ich selbst, der Autor  dieser biografischen Einsichtnahme, wollte die Scrabble-Variante der vier bis fünf Buchstaben jedoch gerne zum Anlass nehmen, Sie, lieber Leser, verehrte Leserin, an den großen Poeten, den Pablo Neruda des alten Europa, zu erinnern und noch etwas näher heranzuführen, sofern dies überhaupt erforderlich war. Ich wollte Ihnen just in Corona-Zeiten ein bisschen Appetit auf seine Lyrik machen: Liebe, Verwandlung, Trauer!

Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Und hier noch ein Give away für Sie aus meiner Feder:

Der Divo
Ein DIVO ist der frivole OVID
Auch Naso sein Name: Zinken.
Unweit bei ROMA, mio AMOR´
Besang jener Star, ein Stern
Am hellen Himmel der Poesie
In seinem gar feinsten Latein
Die Lieben noch in Sulmona.
 
Verpoent ob des Kaisers Moral
Mit potent gesenktem Daumen
Tat kund, als noch stolzer Stern
Ach, ins ferne Tomis, Konstanza
Verbannt, er sein Leid im Exil.
Liebe, Verwandlung, Schmerz
Im sumpffiebrig fremden Exil.
 
Triste Jahre gingen dahin, letal
Rom jedoch blieb streng und still.

Anmerkungen

(1) Die Daten, Fakten und weiteren Informationen zu OVID basieren ganz überwiegend auf den Hinweisen, die ich bei der Ausstellung „Il ritorno di Ovidio a Roma (questa volta in mostra)“ in den Marställen, den Scuderien des Quirinale in Rom Anfang 2019 aufnehmen konnte und die mein Bild des Dichters Ovid abgerundet haben. Darüber hinaus standen literarische Lexika und Ovids Werk selbst Pate; außerdem: einschlägige Feedbacks von Dr. phil. Gheorghe Stanomir, Heidelberg/Brașov.  Was COVID angeht, weiß man ja Bescheid – oder?

(2) Ars Amatoria II.641-662: Fehler als Vorzüge

(3) Krank machende Sümpfe – wenig Trost für Ovid – gab es allerdings auch in seiner Heimat, nämlich die Pontinischen Sümpfe im Süden und die der Po-Ebene im Norden, um nur zwei Beispiele zu nennen.

(4) Manche gehen sogar so weit, Ovids Exildichtungen als den „Beginn einer rumänischen Literatur“ überhaupt zu begreifen. Hierüber mag man grübeln, aber bitte nicht zu lange.

3 Kommentare

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  • Sehr gut geschrieben gibt wirklich Lust d’en Ovid zu lesen. Habe vor kurzem in einem Roman von Lion Feuchtwanger, der Josephus Triologie, einige Zeilen ueber Ovid gelésen den er in seinen historischen Roman eingesaemt hat, und sich deckt mit d’en Feder’schen Zeilen. Bravo

  • super, lieber Fritze hab mich regalliert an deinem ( c)ovidschen Text. Übrigens vor kurzem hab ich de 3 Romanes des Lion Feuchtwangers über den Josephus Flavius gelesen ( bin gerade auf einem tiefen Feuchtwanger Trip, der ja in der BRD total tot geschwiegen wurde in meiner Schulzeit nie von ihm gehoert im deutsch unterricht) wo effectivement auch vom Ovid exil einige zeilen berichten…voili-voilou lieber Freund meine winzige statement zu deinen Ovid zeilen… molto grazie ragazzo!